Samstag, 7. Mai 2022

Mitgefühl als Motor

 Mitgefühl als Motor

Unsere Motivation sollte immer bei jeder Art von Hilfe von Mitgefühl geprägt sein. Sehen wir, dass jemand unsere Unterstützung braucht, sollten wir überlegen, wie es uns ergine, wären wir an seiner Stelle. Auch wenn wir heute gesund, wohlhabend und glücklich sind, kann es jederzeit passieren, dass sich unser gesamtes Leen von einem Moment auf den anderen ändert. Das nennen wir Vergänglichkeit, und verbunden damit ist das, was Leid durch Veränderung genannt wird. Mehr dazu findet sich in Kapitel Q - Quelle des leidens.

Da alles einer permanenten Wandlung unterworfen ist, ist nie ausgeschlossen, dass nicht auch wir eines Tages in einer vergleichbaren Situation stecken wie derjenige, der gerade um Hilfe ersucht. Das sollte uns stets bewusst sein. Gut wäre es deshalb, sämtliche egozentrischen Motive wie finanzieller Vorteil, Lob oder Anerkennung - und seien sie noch so subtil -, nach Möglichkeit zu erkennen und dann fallen zu lassen. 

Ich besuchte einmal eine Familie, in der ein Familiemitglied, eine Frau mittleren Alters mit pschischen Problemen, unglaublich gerne in einen buddhistischen Tempel gehen wollte. Als sie mich, einen buddhistischen Mönch, sah, weinte sie fast. Eine ihrer Schwester, eine Christin, bot ihr an, sie mit in die Kirche zu nehmen. Doch die Frau wiederholte nur immer wieder, sie wolle in einen buddhistischen Tempel und dort beten. Keiner in der Familie beachtete ihren Wunsch, niemand wollte sich Zeit für sie nehmen, und man konnte sehen, wie die Bitten dieser Frau allen auf die Nerven gingen. Aus diesem Grunde bat ich die gesunden Familienmitglieder, sich einmal in die Situation dieser Frau zu versetzen: Sie sitzt den ganzen Tag zu hause, weiß, es geht ihr nicht gut mit wenig Aussicht auf grundlegende Besserung. Alle um sie herum können sich frei bewegen, verfügen über Geld und haben einen Partner. Doch ihr ist es noch nicht einmal möglich, alleine das haus zu verlassen, da sie sich so schnell verirrt. Eine feste Arbeit und damit eigenes Einkommen sind undenkbar, dasselbe gilt für einen Lebenspartner oder Kinder. Wie fühlt man sich da? Und wie geht es einem, wenn ein großer Herzenswunsch einfach ignoriert wird? Nach diesen Überlegungen war es ihrer Familie leichter möglich, sich in sie hinzufühlen, und sie versprachen, einen Tempel in der Nähe zu suchen. Ich habe ihnen empfohlen, einmal einenTag lang das zu tun, was die frau gerne möchte. So könne sie ihr Selbstvertrauen wiederfinden und das Gefühl bekommen, ihre Wünsche seien etwas wert. Wenn jemand krank, alt oder anderswie eingeschränkt ist, hat er genau wie alle anderen den Wunsch, Wohlbefinden zu erfahren und Leiden zu vermeiden. Können wir ihm dabei helfen, sollten wir dies tun und gleichzeitig respektvoll mit ihm umgehen.

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